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JIDDISCH FÜR FORTGESCHRITTENE

Wolfram Quellmalz

Während der Kulturpalast zur Montagsdemonstration der Pegida und dem dort erwarteten Gast Björn Höcke Flagge(n) zeigte (»Augen auf – Ohren auf – Herzen auf«), spielte drinnen das Jerusalem Quartet ein Konzert, das man nicht nur »besonders« nennen darf, sondern muß. Schließlich war es der erste Kammerabend im Saal der Herkuleskeule, die seit dem Umbau des Palastes dort eine neue Heimat gefunden hat. Das Programm setzte sich ausschließlich aus jüdischen (oder »jiddischen«) Werken bzw. solchen jüdischer Komponisten zusammen.

Etwas skeptisch war man schon – wie würde der für ein Kabarett, also für ein Sprechtheater eingerichtete Saal »klingen«? Würde sich Musik sinnlich entfalten können oder wäre er zu »trocken«? War es nicht. Das einzige Manko blieb, daß der Veranstalter, da es die erste derartige Veranstaltung war, vergessen hatte, den Programmheftverkauf zu organisieren. Doch reagierte er spontan und verteilte die Heftchen kurzerhand frei vor dem Beginn.

Werke Erwin Schulhoffs sind nicht eben oft in Konzerten zu hören, allerdings kann man im Rückblick der letzten Jahre sagen: gespielt wird er durchaus immer wieder. Beide großen Dresdner Orchester bzw. ihre Kammermusiken hatten ihn im Programm, die Neue Jüdische Kammerphilharmonie Dresden natürlich ebenso, das Vogler-Quartett brachte Schulhoff mit in die Hoflößnitz (allerdings schon 2016), sogar im Strehlener Orgelsommer erklangen 2017 Stücke von ihm – es wurde durchaus Zeit, wieder einmal genau hinzuhören. Wenn sich ein Quartett israelischer Musiker der Werke annimmt, ist das noch keine Garantie für einen besseren Zugang, indes: daß das Jerusalem mit Leidenschaft spielt, ist nicht nur eine Floskel seiner Agentur. Den neuerlichen Beweis brachte es am Montagabend bei (mit dem gleichen Programm traten die Musiker am Sonntag im Gewandhaus zu Leipzig auf), denn Erwin Schulhoffs »Fünf Stücke für Streichquartett« von 1923 verlangen danach. Formal liegen ihnen klassische Tanzsätze zugrunde, ähnlich einer Suite, doch gehen nicht nur die Tänze (Tango) über die barocke Vorzeit hinaus. Ob Walzer, Czeca oder Tarantella – Melos und Rhythmus dienten einander als »Wippe«, an der sich die Leidenschaft schäumend steigerte. Nebenbei zeigte das Quartett aber auch, daß nicht alles nur Tanz ist – »Alla Serenata« war von einer gesanglichen Attitude geprägt, aus der Tarantella blitzte giftiger Zorn hervor.



Die Herkuleskeule war bei diesem ersten Kammerabend die passende Bühne, denn mit Leonid Desyatnikovs »Jiddisch« und der Sopranistin Hila Baggio, welche in dieser Spielzeit in »La bohème« und »Le Grand Macabre« an der Semperoper zu erleben war, vermischten sich die Genres. Die fünf (leidenschaftlich!) mit Humor gesungenen und dargestellten Lieder ließen kabarettreif Witz und Ironie erblühen. Neben einem aufwühlenden Sopran verfügt Baggio über Darstellungsmöglichkeiten, mit kleinen Gesten und Requisiten zu erheitern, die (typisch jüdische) Doppelbödigkeit, das Nebeneinander von Freud und Leid darzustellen – das Jerusalem Quarteterwies sich als kongenialer Begleiter und (zeitweise singender) Mitspieler.
Nicht zuletzt waren es viele jüdische Musiker und Komponisten, die geist- und wertvolle Chansons und Schlager geschrieben haben. Einen davon »Bei Mir Bistu Shein«, im Original aus dem jiddischen Musical »Men ken lebn nor men lost nisht« (Man könnte leben, aber sie lassen uns nicht von Sholom Secunda / Musik und Jacob Jacobs / Text) gab es im Anschluß als Extra.

Die im Vergleich wenigen Möglichkeiten, Leonid Desyatnikov oder seine Kompositionen kennenzulernen, sollte man unbedingt nutzen. Wie bei seinem Besuch zum Abend mit Gidon Kremer (»Mein Rußland«, 2014, Gidon Kremer war damals Capell-Virtuos der Sächsischen Staatskapelle Dresden) erweist er sich oft als geist- und humorvoller Autor, der mit zahlreichsten Zitaten (auch in »Jiddisch«) Brücken schlägt.

Erich Wolfgang Korngold ist im Gegensatz zu den beiden ersten Komponisten des Abends geradezu häufig im Konzert zu erleben, gleichwohl wird er nach wie vor oft falsch eingeschätzt oder ist »abgestempelt«. Dabei ist seine Entwicklung als Komponist höchst spannend. Sein zweites Streichquartett mag spätromantische Wurzeln haben, ist dennoch mehrdeutig, wie schon ein »Schicksalsmotiv« zu Beginn beweist. Das Larghetto. Lento überrascht mit der Brechung eines »Winteranfangs«, dessen Eis nicht nur langsam zum Schmelzen gebracht wird – voll Glut und mit süßer Kantilene kehrt es in den Frühling zurück.

Der Saal – das sei im Resumée gesagt – läßt sich akustisch also der Musik erschließen, wozu Klangspiegel auf der Bühne beitragen. Im Crescendo war allerdings manches unangenehme Echo zu hören, künftig wird man hieran aber arbeiten können. Mehr als ein zusätzlicher Aufführungsort sollte die Herkuleskeule dennoch nicht sein, denn den Kronensaal auf Schloß Albrechtsberg kann sie nicht aufwiegen.

February 18, 2020

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